Blutegeltherapie
E(n)gel in der Naturheilpraxis
Die Blutegeltherapie ist eine Form der Blutentziehungsverfahren. Das wohl bekannteste Blutentziehungsverfahren ist der Aderlass, aber auch das blutige Schröpfen und das Einritzen der Haut, um eine Blutung zu erzeugen, hat einen ähnlichen Effekt.
Die meisten Naturvölker führten Blutentziehungsverfahren durch. So wurden schon viele Jahrhunderte vor Christus Blutegel zu therapeutischen Zwecken eingesetzt. Etwa 1500 v. Chr. wurden in Ägypten, im 5. Jahrhundert v.Chr. in Indien und auch von Azteken und Indianern Blutegel zu Heilungszwecken benutzt.
In Europa hielt man die Egel zuerst nur für unnütze Parasiten. Erst ab ca. 200 v. Chr. wandten Ärzte sie auch hier zur Schmerzlinderung, Fiebersenkung, Entspannung und gegen Hauterkrankungen an. Italienische Ärzte setzten die Egel ab dem 1. Jahrhundert n. Chr. bei Gichtanfällen und Hämorrhoiden, später bei jeder nur denkbaren Erkrankung ein. Von Italien aus verbreitete sich das Therapieren mit Blutegeln schließlich über ganz Europa.
Nachdem auch Deutschland im 17. Jahrhundert vom „Egelboom“ erreicht worden war, nahm mit Beginn des 19. Jahrhunderts die Blutentziehung, insbesondere durch Blutegel, immense Ausmaße an. Pro Anwendung wurden 60-80 Egel angesetzt, bei manchen Patienten im Verlaufe einer Krankheit sogar 1.000 -1.500 Egel verwendet.
Diese Epoche der Medizingeschichte wird als „Vampirismus“ bezeichnet. Das Blutegelgeschäft wurde zum wichtigsten Wirtschaftszweig in der Medizin. Wurden die Egel in einem Land knapp, importierte man sie von dort, wo es noch welche gab. In vielen Ländern Europas wurden die Blutegel so fast ausgerottet.
Den „deutschen“ Blutegel (Hirudo medicinalis officinalis) gibt es nicht mehr. Doch der übertriebenen Verwendung von Blutegeln fielen nicht nur die Egel selbst zum Opfer, auch die Sterblichkeit der mit ihnen behandelten Patienten stieg an. So ließ die Begeisterung für die Blutegeltherapie ab Mitte des 19. Jahrhunderts nach und sie verlor ihren Platz in der schulmedizinischen Anwendung. Hierfür war außerdem die damals aufkommende Bakteriologie verantwortlich, die mit der Anwendung der unsterilen Blutegel nicht zu vereinbaren war.
Seit dem 20. Jahrhundert wird die Blutegeltherapie überwiegend von „Naturheilkundlern“ durchgeführt, die eine auf den Patienten abgestimmte Menge von Egeln verwenden. Die schulmedizinische Forschung versucht seither, das Geheimnis der Blutegel zu ergründen, denn ihre Anwendung ist grundsätzlich erfolgreich.
Wie sieht ein Blutegel aus?
Der medizinische Blutegel (Hirudo medicinalis officinalis) gehört zu den Ringelwürmern, wie sein naher Verwandter, der Regenwurm. Äußerlich haben die beiden aber nur die Körperringelung gemeinsam. Egel kommt von „echis“, das bedeutet kleine Schlange. Und so sieht der Egel auch aus, wenn er durchs Wasser schwimmt.
Der medizinische Blutegel hat an seinen beiden Enden jeweils einen Saugnapf, mit denen er sich am Untergrund festsaugt und die ihm zur Fortbewegung dienen. Der vordere Saugnapf dient auch noch der Nahrungsaufnahme, da dieser die Mundöffnung umschließt. Die Mundöffnung besteht aus drei halbmondförmigen Kiefern mit ca. 100 kleine Zähnchen. Hiermit können die Egel die Haut ihres Opfers einritzen und ihre Blutmahlzeit einnehmen. Dabei hinterlassen die Kiefer etwa 2-3 mm große, sternförmige Narben.
Das vordere Ende des Egels ist dünner als das hintere Ende, der Rumpf ist auf der Bauchseite abgeflacht, auf der Rückenseite etwas gewölbt. Auf der Bauchseite ist der medizinische Blutegel grünbraun gefärbt, manchmal kann man schwarze Punkte finden. Auf dem Rücken ist er dunkel olivgrün mit braunen und dunkelgrünen, evtl. orange-rötlichen Streifen.
Ansonsten kann er seine äußere Form sehr verändern. Er kann sich stark zusammenziehen und sieht dann kurz und dick aus. Wenn er sich aber in die Länge streckt, wird er dünn und sehr lang und kann sich durch kleinste Ritzen durchquetschen.
Der Blutegel besitzt mehrere Sehzellpaare auf seinem Rücken, die man allerdings mit bloßem Auge nicht erkennen kann. Die Atmung des Egels geschieht nicht über Lungen oder durch Kiemen, sondern über die Haut. Sie atmen den im Wasser gelösten Sauerstoff.
Blutegel sind zweigeschlechtlich, also Zwitter und legen ihre Eier in Kokons an Uferböschungen in die Erde oder an die Blätter von Wasserpflanzen. Nach ungefähr 6 Wochen schlüpfen dann die kleinen Egelchen. Sie sind in der Lage, sich direkt selbst zu versorgen. Häufig suchen sie sich satte große Egel, denen sie dann ein wenig Blut absaugen.
Sie leben in kalkarmen, kühlen und langsam fließenden (Süß-)Gewässern wie Seen, Teichen, Bächen und Flüssen. In Freiheit ernährt sich der Egel vom Blut von Fischen, Fröschen, oder er saugt an Nase oder Mund von trinkenden Weidetieren. Manchmal erwischt es auch einen Badenden. Egel können bis zu 2 Jahre ohne Nahrung auskommen und 25 - 30 Jahre alt werden.
Auch bei uns findet man noch „wilde“ Egel. Die Blutegel, die aber in medizinischen Gebrauch gelangen, kommen überwiegend aus deutscher Zucht oder aus Gewässern in der Türkei und Kroatien, wo sie eine kurze Zeit im Jahr für die medizinische Verwendung gefangen und exportiert werden dürfen.
Der „Einsatz“ des Egels am Patienten
Bevor die Blutegel angesetzt werden, sollte der Patient die entsprechende Stelle der Haut zwei Tage vorher nicht mit parfümierten Seifen oder Cremes waschen oder einreiben. Auch sollte er kurz vorher nicht mehr rauchen, denn Blutegel mögen weder Duftstoffe noch Nikotin. Sie beißen dann nicht.
Auch die Blutegel werden auf ihre Blutmahlzeit vorbereitet. Sie werden eine Stunde vor dem Ansetzen in kühles abgekochtes Wasser gegeben, um die Keime auf ihrer Haut zu reduzieren.
Die Anzahl der pro Behandlung anzusetzenden Blutegel hängt ab von Größe, Gewicht, Alter, Blutdruck, Schwere der Erkrankung, Medikamenteneinnahmen des Patienten und von der Größe der Blutegel. Bei einem 5-jährigen Kind mit einem Nagelumlauf wird nur ein Egel angesetzt, bei Erwachsenen werden es zwischen 5 und höchstens 15 Egel sein.
Sollen nun Blutegel an eine bestimmte Körperstelle des Patienten gesetzt werden, muss man zunächst für eine ruhige und entspannte Atmosphäre sorgen, denn Egel sind besonders sensible Tiere, die jede noch so kleine Aufregung oder Anspannung des Therapeuten spüren, darauf ebenfalls mit Unruhe reagieren und sich dann nicht mehr genau platzieren lassen. Die Aufregung des Patienten hingegen stört sie nicht. Ganz im Gegenteil, diese sorgt für eine bessere Durchblutung der Haut, so dass die Egel leichter an ihre Nahrung gelangen können und dann gut beißen.
Auch bei gewittriger oder schwüler Luft oder grellem Licht beißen sie schlecht oder gar nicht. Streichelt man sie dann liebevoll, lassen sie sich u.U. doch noch „überreden.“
Erreicht der Egel die Haut des Patienten, saugt er sich erst mal mit dem hinteren Saugnapf fest und sucht mit seinem vorderen Ende tastend nach einer geeigneten Bissstelle. Hat er diese gefunden, setzt er den vorderen Saugnapf senkrecht von oben auf die Haut auf und saugt sich fest. Nach kurzer Zeit beginnt er mit den Kieferzähnchen die Haut seines Opfers einzuritzen.
Der Biss des Blutegels ist schmerzarm. Je nach Empfindlichkeit des Patienten ist er entweder gar nicht oder wie ein Mückenstich zu spüren. Manchmal tritt kurz nach dem Biss ein Brennen an der Bissstelle auf, das mit der Berührung einer Brennnessel zu vergleichen ist. Dieses Brennen vergeht innerhalb weniger Minuten.
Während des Saugaktes bleiben die Egel die ganze Zeit am selben Ort, sie kriechen nicht über den Körper. Der Patient spürt lediglich die Saugbewegungen des Egels.
Nach 20 Minuten bis längstens 2 Stunden ist der Egel satt, 4-6mal so groß wie vorher und fällt vom Körper ab. Er hat jetzt 3-6 Milliliter Blut getrunken. Die Wunde blutet aber noch ungefähr 12 Stunden nach. In dieser Zeit verliert der Patient durch diese eine Wunde noch 20 - 30 Milliliter Blut, das durch einen sehr dicken, aber lockeren Verband aufgefangen wird. Die Nachblutung darf nicht unterbrochen werden, aber der Verband soll auch nicht sofort durchbluten. Ein Verbandswechsel nach einigen Stunden, in denen sich der Patient ruhig verhalten sollte, um den Blutverlust nicht unnötig zu vergrößern, ist in der Regel erforderlich.
Bevor der Blutegel mit dem eigentlichen Blutsaugen beginnt, gibt er verschiedene Substanzen in den Körper seines „Opfers“.
Der bekannteste Stoff ist das Hirudin. Es wirkt an der Bissstelle einige Stunden lang gerinnungs- und entzündungshemmend. Andere Sekrete sind Antistasin, Apyrase, Bdellin, Calin, Decorsin, Eglin, Ghilantene, Hyaluronidase, Kollagenase, Piyavit-Destabilase, Prostaglandine. Sie wirken entzündungs- und gerinnungshemmend, gefäßerweiternd, schmerzstillend, lymphstrombeschleunigend. Die Blutgefäße werden wieder straffer, und Blutgerinnsel können aufgelöst werden.
Diese Wirkungen ermöglichen die Anwendung der Blutegel bei einer großen Anzahl von Beschwerden:
- Krampfadern, (nicht nur, dass die Egel die dicken Aussackungen entfernen können, die Venen werden wieder straffer, neuen Krampfadern wird dadurch vorgebeugt und Besenreißer können auch verschwinden)
- Thrombosen, Venenentzündungen, offene Beine, schlecht heilende Wunden
- Arteriosklerose, Angina pectoris, vorbeugend vor Herzinfarkt und Schlaganfall
- bei Diabetes mellitus können Gefäßveränderungen positiv beeinflusst werden
- sämtliche Muskelverspannungen und deren Folgen wie Migräne, Wadenkrämpfe, Spannungskopfschmerzen, Hexenschuss
- Rückenschmerzen, Schmerzen durch Arthrose, Gelenkentzündungen, Rheuma, Nervenschmerzen
- Tinnitus
- Abszesse und Furunkel
- sämtliche Arten von Entzündungen, sei es an Gelenken, Sehnen, Umlauf, inneren Organen, an der Haut, usw.
- Durchblutungsstörungen, Schwindel
Es gibt nur wenige Gegenanzeigen einer Blutegeltherapie. So dürfen Blutegel nicht angesetzt werden, wenn der Patient an Gerinnungsstörungen leidet, sei es, dass er Bluter ist, also an Hämophilie leidet, oder gerinnungshemmende Medikamente einnimmt, wie z.B. Marcumar. Hier wäre die Nachblutung nur schwer zu stoppen.
Auch bei Menschen die an einer ausgeprägten Abwehrschwäche leiden, wie HIV, Krebserkrankungen oder immunsupprimierte Patienten nach Transplantationen sollte keine Blutegeltherapie durchgeführt werden, da es dabei zu Entzündungen der Wunden kommen könnte. Ausgeprägte Anämien und eine Allergie gegen die Blutegelsekrete stellen natürlich auch eine Kontraindikation dar.
Hat der Blutegel seine Mahlzeit beendet, fällt er – wie schon erwähnt – normalerweise ab. Der Saugvorgang sollte nicht vorzeitig unterbrochen werden, da durch Drücken und Quetschen des Egels Bakterien aus dessen Darm in den Patienten gelangen und eine Infektion hervorrufen könnten. Das Aufstreuen von Salz oder Betupfen mit Alkohol hat ein Erbrechen des Egels zur Folge, wobei ebenfalls Bakterien des Egels den Patienten infizieren können. Daher ist von Selbstversuchen dringend abzuraten.
Die Nebenwirkungen bei der Blutegeltherapie sind eher harmloser Natur: Nach der Behandlung kann um die Bissstelle herum eine Rötung auftreten, die auch mit einem Juckreiz einhergehen kann. Diese Reaktion ist mit einem Mückenstich vergleichbar. Nach mehreren aufeinander folgenden Behandlungen, oft schon beim zweiten Mal, wird es weder rot noch juckt es.
Durch den Blutverlust kann während oder nach der Therapie der Blutdruck etwas sinken. Diese kleine Kreislaufschwäche kann mit einigen Kreislauftropfen sofort behoben werden.
Meistens verheilen die Bissstellen nach der Behandlung rasch. In seltenen Fällen, insbesondere bei Menschen mit verstärkter Narbenbildung, bleiben längere Zeit kleine, ca. 2-3 mm große, sternförmige Narben zurück. Nebenwirkungen wie Allergien und Wundinfektionen sind extrem selten.
Aus rechtlichen Gründen weise ich darauf hin, dass es sich bei der Blutegeltherapie um Erfahrungsheilkunde und nicht um ein wissenschaftlich anerkanntes Verfahren handelt.